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Kühner als Kolumbus
Die Entdeckung Eichstätts durch die italienische Literatur. 1. 2.
1.
"Heute, am 2. November 1881, habe ich beschlossen, das Geheimnis niederzuschreiben, welches das Leben, der Reichtum und die Kraft meiner Seele ist ... Ein paar trockene Blättchen und vergilbte Blüten von Waldmeister aus dem Eichstätter Walde liegen hier neben mir." Dies schrieb kein Geringerer als der italienische Dichter Antonio Fogazzaro (1842 - 1911), dessen Werke auch heute noch und nicht einmal zu Unrecht zur Weltliteratur gezählt werden; "ein weicher, sinnlich musikalischer Träumer", Doktor der Rechte, Schulrat, Senator und Bibliothekar, zwei seiner Romane stehen wegen modernistischer Tendenzen auf dem Index. Doch was hat es mit seinem Geheimnis, was hat Eichstätt damit zu tun?
Im Jahre 1879 lernte der Held des Romans am Lago Maggiore eine junge hübsche Dame kennen, Violet Yves. Sie hatte nur einen Fehler, sie war verlobt und gab das auch ganz offen zu: "Meine Bestimmung ist, in einer kleinen fernen Stadt jenseits der Alpen zu leben". Er plauderte mit ihr über italienische Literatur, machte Gedichte und verliebte sich. Eines Tages fuhr sie weg. Für den Dichter schien die Situation aussichtslos. Schließlich fand er heraus, dass sie bei ihren Eltern in Nürnberg lebte. Voller Ungewissheit reiste er nach Deutschland. In Nürnberg erfuhr er, dass Violet einen Professor Topler, "einen Vierziger, klein und dick", heiraten solle, der am Gymnasium in Eichstätt unterrichtete.
"Eichstädt? Der Name war mir nicht neu, es war mir, als ob ich ihn am Tage zuvor an einer einsamen Station zwischen Hügeln und Wäldern gelesen hätte. Sehr befriedigt von diesem Lichtstrahl kehrte ich in den Gasthof zurück, um Eichstätt in meinem Bädeker aufzusuchen."
Später traf er im Germanischen Museum Toplers Bruder und sie schlossen Freundschaft. Der Dichter richtete es so ein, dass er mit ihm nach Eichstätt fuhr. Violet, ihre Freundin Luise und ihr Bräutigam reisten ebenfalls mit. Alle waren erstaunt über den Dichter: "Der Herr geht nach Eichstädt; das ist ein Italiener noch kühner als Kolumbus. Er will Eichstädt entdecken."
Der Dichter erinnert sich an den Tunnel zwischen Pappenheim und Dollnstein, an "Hügel mit Ruinen, an dessen Fuß einige von mittelalterlichen Mauern umgebene Häuschen stehen" und schließlich an den einsamen, kleinen Bahnhof in einem stillen grünen Winkel des Fränkischen Jura". Im Bahnhofswald stärkte sich die Gesellschaft mit einer Flasche Rüdesheimer. Violets Freundin Luise sang Schnadahüpfl. Auch der Dichter ließ sich nicht lumpen; er gab ein Stegreifgedicht zum besten: "Heiß schlägt mein Herz nach neuem Dichterbrauch ..." Über das "Parkhaus" und die "Anlagen" kamen sie nach Eichstätt. "So fern der Welt und der großen Straßen, so völlig verborgen von einsamen Höhen hätte ich sie mir nicht vorgestellt." Ihm erschien das Los, "an einem solchen Ort gebunden zu sein, recht ernst, ja traurig. Als wir dann den Talgrund betraten, wo riesige Pappeln den klaren Fluss flankierten und über die schmale Brücke gingen, erschien mir das einsame Städtchen weniger trist und ich musste denken, dass man nach Ansicht der Alten hier ein glückliches Leben prächtig verbergen könnte."
Der Dichter wohnte im "Schwarzen Adler", besuchte die Gebrüder Topler und schaute sich gründlich in Eichstätt um: Rossmarkt, Willibaldsdenkmal, Residenzgarten, Mariensäule, Westenvorstadt; sogar an das "alte Kirchlein, von Marienstein" erinnert er sich noch. In den "schönen Wiesen am Ufer der A1tmühl" half er Luise Blumen pflücken. Als Belohnung zeigte sie ihm dafür einen "hübschen Weg in die Stadt zurück, längs der Pappeln und an der Burg vorüber". Auf die Frage jedoch "Nicht wahr, unser Eichstädt ist doch reizend?" schwieg der Dichter. Ihn plagten andere Sorgen. Die Gebrüder Topler machten sich nämlich Gedanken über den Grund seines Aufenthaltes und sie fragten ihn schließlich: "Was zum Teufel wollen Sie in Eichstätt?" Violet natürlich! Doch sie reiste ab, um weitere Komplikationen zu vermeiden. Der "Held" machte noch schnell einige Gedichte, dann folgte er ihr. In Rüdesheim am fernen Rhein wurden sie endlich vereint. Das Unheil indessen nahm seinen sprichwörtlichen Lauf. Violet stirbt an einem Herzanfall.
Der Roman "Il mistero del poeta" erschien 1888 in Mailand. In Deutschland kam er zweimal heraus, und zwar 1904 und 1925 als "Geheimnis des Dichters". Die Literaturkritik (Baumgartner in seiner Geschichte der Weltliteratur) bezeichnete das Buch als "Flucht in die träumerische Region eines sentimentalen Gefühlslebens".
Bleibt die Frage zur beantworten, warum Fogazzaro gerade Eichstätt als Hintergrund für seine Erzählung gewählt hat. Nun, der Dichter besuchte die Stadt im Mai 1872. Fräulein Buchner aus Eichstätt, der das Werk gewidmet ist, war die Erzieherin seiner Kinder. Wieweit eigene Erlebnisse "verwertet" wurden und Eichstätter Persönlichkeiten nachgezeichnet sind, das hat Sebastian Englert in der "Deutschen illustrierten Rundschau" (1928 Nr. 6) nachzuweisen versucht. Ob die "Lösungen" stimmen, das können wohl nur die älteren Eichstätter feststellen. Fogazzaro ist zweifellos der bedeutendste - wenn nicht einzige - Eichstättreisende der Weltliteratur. Seine sentimental gefärbte Darstellungsweise hält ihn dennoch nicht vor gelegentlichen Ausflügen in das Reich der Ironie zurück. Als der Dichter bei der Abfahrt von Nürnberg leichtsinnigerweise das Ziel seiner Reise verriet, wunderte sich gerade der Eichstätter Studienrat Dr. Topler darüber, dass ein Fremder Eichstatt sehen wolle einen so öden und tristen Ort, dass selbst die Altmühl nur widerwillig dorthin komme und so langsam wie möglich.
(Hans Baier in: Eichstätter Kurier. 1963 Nr. 73 vom 27. 3)
2.
1888 brachte die italienische Literaturzeitschrift "Nuova antologia" in Fortsetzung den Roman "Il mistero del poeta" (zu deutsch "Das Geheimnis des Dichters). Sein Verfasser war Antonio Fogazzaro, der durch "Piccolo mondo antico, "Il santo", "Miranda" und "Malombra" über Italiens Grenzen hinaus bekannt und berühmt geworden war. Der Inhalt sei kurz erzählt: Der Held der Geschichte, ein Dichter, lernte am Lago Maggiore eine junge und hübsche Engländerin kennen, Violet Yves, in die er sich leidenschaftlich verliebte, allerdings ohne Erfolg. Violet reiste bald ab, nicht ohne ihrem Verehrer mitzuteilen, dass sie bereits verlobt sei. Doch der Dichter gab nicht auf. Er brachte in Erfahrung, dass Violet einen Professor Topler, ("ein Vierziger, klein und dick"), der am Eichstätter Gymnasium unterrichtete, heiraten solle. Kurz entschlossen fuhr er nach Eichstätt. Es ergaben sich Komplikationen. Violet reiste zum zweiten Mal ab. Doch in Rüdesheim am Rhein werden die Liebenden endlich vereint.
Die Landschaft um Eichstätt und die Stadt selbst spielen im Romanablauf eine wichtige Rolle. Bereits auf der Fahrt, der "Held" des Romans - ein Dichter - machte einen Umweg über Nürnberg, wunderte sich seine Reisebekanntschaft, "dass ein Fremder Eichstätt sehen wolle, einen so öden und tristen Ort, dass selbst die Altmühl nur widerwillig dorthin komme und so langsam wie möglich." Man spendete ihm ein zweifelhaftes Lob: er sei "kühner als Kolumbus. Er will Eichstätt entdecken". Beim Aussteigen fiel dem "Dichter" der "stille grüne Winkel des Fränkischen Jura" auf, "wo der einsame kleine Bahnhof ... zwischen waldigen Hügeln dicht neben Geleisen steht".
Da es noch keine Bahnverbindung nach Eichstätt gab, blieb nur der Fußweg über den Frauenberg. "Die steilen schattigen Anhöhen des Bahnhofswaldes lagen vor uns ... Nach wenigen Schritten gelangten wir ins Freie, auf den fast ganz ebenen Kamm des Hügels, wo zur Linken eine Straße nach dem im Tal versteckten Eichstätt abzweigt, und rechts ein Fußpfad am Saum des Waldes entlang führt." Sie kamen am Parkhaus und an den "Anlagen" vorbei. "Als wir aus einem dichten Wäldchen junger Buchen heraustraten und das stille Tal der Altmühl und die ersten Häuser von Eichstätt erblickten, da fielen mir die Worte ein, die Violet damals in Belvedere di Lanzo gesagt, wohin ihr Schicksal sie rufe. So fern der Welt und der großen Straße, so völlig verborgen von einsamen Höhen hätte ich sie mir nicht vorgestellt. Als ich unterhalb des gegenüberliegenden nackten Berges ihre mit Zinnen gekrönten Umfassungsmauern sah und zu meinen Füßen die Türme der Domkirche; als wir fast den ganzen Abstieg zurückgelegt hatten, ohne einem lebenden Wesen zu begegnen, ohne eine Laut zu hören, erschien mir das Los, an einen solchen Ort gebunden zu sein, recht ernst ja traurig.
Als wir dann den Talgrund betraten, wo riesige Pappeln den klaren Fluss flankierten, und über die schmale Brücke gingen, erschien mir das einsame Städtchen weniger trist und ich musste denken, dass man nach Ansicht der Alten hier ein glückliches Leben prächtig verbergen könnte." An der Tür des "Schwarzen Adlers" verabschiedete er sich von seinen Begleitern. Sein Fenster ging zum Willibaldsbrunnen hinaus "und bald mischte sich die vom Monde beschienen segnende Gestalt des Menschen freundlichen Bischofs" in seine Träume.
Zahlreiche Eichstätter Örtlichkeiten werden erwähnt und zeugen für die Genauigkeit der Schilderung: Rossmarkt, Residenzstraße, Marktgasse, Westenvorstadt und Tiefes Tal. Luise, eine Eichstätterin, "machte mir eine sehr hübsche Beschreibung von dem alten Kirchlein in Marienstein und den schönen Wiesen am Ufer der Altmühl". Er traf sie Blumen pflückend. Sie versprach ihm: "Wenn Sie uns helfen, will ich Ihnen nachher einen hübschen Weg in die Stadt zurück zeigen, längs der Pappeln da drüben und an der Burg vorüber. Nicht wahr, unser Eichstätt ist doch reizend? Das große Gebäude mit dem Turm ist das Walpurgiskloster ... und die Kirche zur Rechten ist die Jesuitenkirche und die weiterhin die Heiliggeistkirche." Sie sprachen noch lange von dem "reizenden Städtchen im Tal" und von Eugen Beauharnais. Im Residenzgarten besichtigte der Dichter die Mariensäule: "Mir gegenüber beschien der Mond ein langes, steiles, vierfach gestuftes Dach, ruhte auf der hohen Mariensäule und auf vom Winde bewegten Wipfeln der rotblühenden Kastanien."
Wenn man das Buch aus der Hand legt, ist man versucht, die gleiche Frage zu stellen, die die Eichstätterin Hermine Häcker 1892 in einem Brief an Fogazzaro aussprach: "Eben habe ich Ihren Roman 'Das Geheimnis des Dichters' zu Ende gelesen und ich muss Ihnen schreiben, wie sehr es mich gefreut hat, in der Sprache Dantes, eine so lebendige und liebenswerte Beschreibung meines kleinen Eichstätt zu lesen. Sie mussten bestimmt einige Zeit dort gewesen sein, denn die geschilderten Einzelheiten, selbst im Detail wirklichkeitsgetreu, entgehen dem flüchtigen Touristen?"
Des Dichter Antwort ist leider unbekannt. Daher einige kurze Bemerkungen, die zu des Rätsels Lösung beitragen können. Auf Eichstätt aufmerksam wurde der Fogazzaro durch Felicitas Buchner, Tochter des Eichstätter Rentamtmanns Buchner. Felicitas war Erzieherin der Neffen Fogazzaros. Im Mai 1885 hielt sich der Dichter bei Buchners Eltern in München auf (der pensionierte Amtmann war 1883 dorthin umgezogen). In einem Brief an Felicitas schrieb Fogazzaro am 2. Mai: "Toni schlägt für Montag, wo sie Zeit hat, eine Fahrt nach Ingolstadt vor, aber Eleonore und ich möchten gerne nach Eichstätt." Er aber will noch am selben Abend oder wenigstens am nächsten Morgen in Nürnberg sein. Bei dem kurzen Besuch in Eichstätt zeigten ihm dann Eleonore und Toni (die beiden Schwestern von Felicitas) neben anderem auch ihre Geburtshaus auf dem Residenzplatz.
"Das Geheimnis des Dichters" wurde in mehrere Fremdsprachen, darunter ins Englische, Russische und dreimal ins Deutsche übersetzt. Die erste deutsche Übersetzung erschien in der Eichstätter Volkszeitung, fand allerdings bei den Lesern nur geringes Interesse. Das spricht jedoch nicht gegen die Qualität des Romans, der mit Recht zur Weltliteratur gerechnet wird. Nur eine einzige kritische Stimme, die des Münchener Romanisten Hans Rheinfelder sei zitiert: "Es ist eine merkwürdige Mischung von Lyrik und Epik, von Gedicht und Prosa, von Traum und Handlung. Uns Deutsche fesselt an dem Roman besonders auch die Darstellung deutscher Landschaft und deutschen Städtelebens um Eichstätt und am Rhein, in Nürnberg und in Köln, ebenso auch die Kunst der Einfühlung in deutsche Menschen, was wohl keinem Italiener in gleicher Weise gelungen ist."
(Hans Baier in Eichstätter Kurier. 1969, Nr. 300 vom 31. Dez.)
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