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Landschaften der Erinnerung
Franken in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts
Hans Baier
"Ganz glücklich eilte ich nachmittags in ein andres Felsental, wo die Burg Rabenstein liegt. Ich erblickte eine Kapelle, ging nahe darauf zu und sah das romantischste Bild, das man sich denken kann. Ein altes gotisches Kirchlein, an einem steilen bebuschten Felsen klebend; in der schwindelnden Tiefe ein stilles Wasser, sonderbar gestaltete Felswände, an welchen eine große, mächtige Höhle das Tageslicht angähnte. Auf einer der Felsenwände lag das Schloss Rabenstein, halb Ruine, zum Teil noch bewohnt. Ich zeichnete die Kapelle. Gewitter stiegen ringsum auf, die Gegend wurde finster und ich musste endlich nach Waischenfeld zurückeilen.“
Mit diesen Zeilen beginnt der Maler Ludwig Richter das Tagebuch einer Wanderfahrt, die ihn im Jahre 1837 in wenigen Tagen kreuz und quer durch Franken führte. Er hatte von dem Leipziger Verleger Georg Wigand den Auftrag erhalten, den Frankenband in der Reihe "Das malerische und romantische Deutschland" zu illustrieren.
Hundert Postmeilen in zwei Wochen
Richter reist über die Fränkische Schweiz an. Von Waischenfeld aus führt ihn sein Weg über Doos, "wo das Flüsschen Wiesent einen schönen Wasserfall macht", nach Muggendorf. Am nächsten Morgen steht er begeistert vor der "höchst malerisch gelegenen" Ruine Neideck und hält sie in seinem Skizzenbuch fest. Weiter geht es zum Schloss Oberaufseß, das er von Streitberg aus "durch einen wilden Felsenpass" erreicht. Über Hilpoltstein und Gräfenberg gelangt er nach Nürnberg, dessen Kunstschätze ihn beeindrucken. Neustadt, Biebelried und Würzburg (26. August) sind die übrigen Stationen. Nach einem Abstecher nach Wertheim wandert er über Dettelbach, Münsterschwarzach, Ebrach ("die Abtei, ein fürstlicher Palast, steht wüst und leer") und Bamberg nach Pommersfelden, wo er im "prachtvollen" Schloss die berühmte Gemäldegalerie bewunderte. Mit der Schilderung der Rhön endet das Tagebuch.
An anderer Stelle berichtet der junge Maler: "Die Reisen in jene malerischen Gegenden Deutschlands wurden größtenteils zu Fuße zurückgelegt und lieferten fürs Skizzenbuch und die Erinnerung eine reiche Ausbeute von Bildern und Erlebnissen aus dem deutschen Volksleben, die mir für mein späteres Schaffen vielfach zugute kamen. Ich war damals ein rüstiger Fußgänger und marschierte z. B. auf der Wanderung durch Franken, das ich mehrmals kreuz und quer, von Nürnberg bis zur Rhön, durchzog, gegen hundert Postmeilen innerhalb zwei Wochen."
Böses in Biebelried
In den Aufzeichnungen wird nichts beschönigt. Müdigkeit und Niedergeschlagenheit nach endloser Wanderung über regennasse und verdreckte Straßen, schlimme Erfahrungen in ungastlichen Wirtshäusern wechseln rasch mit heiteren, frohen Stunden. In Fürth verdrießt ihn der "mürrische" Wirt und er ist froh, als er mit einer "viertel Gans im Leibe" in sein "elendes Schlafkämmerlein" gehen kann. Bös erwischt es ihn in Biebelried. Das Gasthaus gibt sich zwar von außen einladend, aber innen "hauste ein betrunkener scheußlicher Wirt, der endlich auch mit mir wegen Vorzeigen des Passes Händel anfing und sich viehisch grob und brutal benahm". Der Maler kann in dem "zentnerschweren" Bett keine Ruhe finden und zieht bereits früh "vor 5 Uhr" verdrossen weiter. In einem Dörfchen in der Nähe von Ebrach wird er ebenfalls enttäuscht: Es erwartet ihn eine "kalte und garstige" Wirtsstube "ohne alle Bequemlichkeit", als er nach endlosem Regen durchfroren, mit feuchten und schmutzigen Kleidern anklopft.
Doch diese "sehr schlechten Reiseaussichten" sind stets schnell vergessen. In Waischenfeld notiert er: "Meinem Leibe geschieht auch kein Abbruch, ... das köstliche Bier, die ganz ausgezeichneten Forellen von der Größe wie ein kleiner Karpfen. . . ergötzen meinen Magen ebenso, als meine Seele sich glücklich und gehoben fühlt im Anschauen einer so wunderschönen Natur". Er verschmäht fränkische Hausmannskost, Brot, Butter und Schnittlauch ebenso wenig wie in Bamberg süßes Bier, Rebhuhn und "Erdäpfel". Nicht verschwiegen werden soll, dass der Maler häufig über einen verdorbenen Magen klagte, vor allem weil er an heißen Tagen oft allzu hastig den ungewohnten Produkten fränkischer Landbrauereien zusprach.
Wie Bildunterschriften von Zeichnungen
So wie er mit seinem Zeichenstift mit wenigen Strichen Landschaft und Leute festhält, beschreibt er im Tagebuch mit wenigen Worten lebendig Brauchtum, Volksleben und Trachten seiner Reisestationen: "Wie viel liebliches und schönes ich hier finde, kann ich dir gar nicht sagen; von der Wirtsstube, ihren Gerätschaften, dem interessanten Volke, Sprache und Tracht; die ganze Gegend Schritt für Schritt gibt mir interessante Bilder und zwar in einem Charakter, wie ich ihn immer zu finden wünschte", stellt er in Waischenfeld fest. Er versucht mit den Leuten ins Gespräch zu kommen und amüsiert sich über ihre Ansichten. Auf seinem sonntäglichen Rückweg von Wertheim begegnet ihm "geputztes Landvolk": "Die Männer mit dem Dreispitz, oder runde Pelzkappe mit goldner Bammel, rote Weste mit Silberknöpfen, gelblederne Hosen und Strümpfe mit Lederriemen geschnallt. Die Mädel gar hübsch. Schwarze spitze Häublein, volles Gesicht, blendend weißes Hemd, sehr buntes Mieder mit silbernen Häkchen und Schnüren, Latz, schwarzer kurzer Rock, blaue oder weiße gestreifte Schürze. Strümpfe blau mit Zwickel."
Die Aufzeichnungen lesen sich seitenweise wie Bildunterschriften zu seinen Zeichnungen. Dafür nur ein einziges Beispiel, nämlich Bamberg: "Die Babenburg mit ihren runden hohen Türmchen erblickte ich zuerst, dann zeigt sich die weite liebliche Ferne, der Dom, Schloss, die Frauenkirche. Mich erfreute die Stadt und ihre Lage gar sehr... Alte gotische Heiligenbilder. Wunderschöne Abendbeleuchtung, Schlagschatten in der Ferne und helle goldgrüne Lichter schwebten über die sanften Berge, Städtchen und Dörfer, die alte Burg Giech, präsentierten sich gefällig."
"Habe 40 Zeichnungen mitgebracht"
Über den Ertrag dieser Wanderungen und Fahrten schreibt Richter in einem Brief an Wigand: "Der Herr von Heeringen hatte mir recht tüchtige Touren aufgegeben, die mir durch zwei Wochen sehr schlechten Wetters noch recht erschwert wurden; habe aber doch gegen 40 Zeichnungen, kleine Skizzen und Costümzeichnungen ungerechnet, mitgebracht, unter denen sich und das Beste auswählen lässt, da ich von manchen aufgegebenen Punkten mehrere Ansichten genommen habe." Auf der Wunschliste des Verlegers standen doch die Stadt Coburg, Rosenau und Schloss Giech, die aber nicht zur Ausführung kamen.
31 Motive wurden schließlich für das Buch ausgewählt. Ich möchte nur auf einige wenige hinweisen: Die wildromantischen Ansichten der Fränkischen Schweiz, darunter die Burg Rabenstein voll düsterer Melancholie. Verfallene Burgen (Lichtenstein, Altenstein, die Salzburg) und lichte weiträumige Landschaften (Bayreuth, Pommersfelden, Kitzingen, Würzburg, Kissingen). Eine der künstlerisch interessantesten, der Johannisfriedhof in Nürnberg, eine der heitersten, die Ansicht von Bamberg, die sich erst nicht so recht "machen" lassen wollte, mit den übermütig tanzenden Winzern im Vordergrund.
Aus: Hans Baier: Aus: Landschaften der Erinnerung. In: Bayerland. 77 (1975), Nr. 10/11, S. 55 - 56
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Hans Baier